Letzte Änderung am 4. Januar 2020 by Christoph Jüngling
Dass sich ein Jugendlicher über die Menschheit und den Zeitgeist Gedanken macht, kommt mir noch heute ein wenig seltsam vor. Schließlich hat man in dem Alter anderes zu tun: Mädchen, Alkohol, Zigaretten, Rebellion gegen das Establishment (insbesondere die Eltern), und vielleicht nebenbei auch noch für die nächste Klassenarbeit lernen, wenn es sein muss. Wer sich da noch über die Menschheit im Ganzen Gedanken macht, muss irgendwie nicht ganz richtig im Kopf sein. Dennoch erging es mir damals so. Nicht dass die anderen Sachen keine Rolle gespielt hätten! Aber da war halt noch was, etwas, das im realen Leben fehlte, und das ich nur in Perry Rhodan fand.
Meine Mutter bezeichnete es als “Trivial-” oder gar “Schundliteratur”. Für mich dagegen waren es Geschichten aus einer besseren Welt. Die Menschheit stand (nicht nur in der Geschichte) knapp vor einem weiteren Krieg, der aufgrund der zahlreich vorhandenen Atombomben vermutlich alle ausgelöscht hätte. Perry Rhodan konnte das verhindern, dank eines außerirdischen Raumschiffes, auf das er auf dem Mond gestoßen war. Es hätte schlimmer kommen können. Schundliteratur also?
Es war vielleicht dieses Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen in der Serie aus Heftromanen, die bereits 1961 gestartet wurde, und die ich zunächst sporadisch in der ersten Auflage las. Die Menschen “da drin” bildeten ein Team, und so unterschiedlich sie auch waren, sie arbeiteten gemeinsam auf ein Ziel hin. Kein Gedanke schien daran verschwendet zu werden, dass Telepathen und Telekineten doch aufgrund ihrer Macht eigentlich die Menschheit beherrschen sollten. Das hätten sie ohne Zweifel tun können, keine Frage, aber sie taten es nicht. Statt dessen setzten sie ihre Fähigkeiten (und nicht selten ihr Leben) ein, um mal wieder einen bösen Schurken zu überlisten. Und oft waren sie nur in der Gemeinsamkeit stark genug, um dies zu schaffen. Dass es sich bei den Schurken selten um Menschen, sondern fast immer um Außerirdische handelte, schweißte sie – und letzten Endes die gesamte Menschheit – nur noch mehr zusammen. Die Zeit der Nationalstaaten war vorbei, jetzt ging es um Größeres. Gemeinsamkeiten stärken, Unterschiede ergänzen. Wenn ich je etwas über Teamarbeit gelernt habe, dann aus Perry Rhodan.
Als die “Stardust” mit der 4. Auflage 1977 zum wiederholten Male startete, war ich mit dabei – gewissermaßen als blinder Passagier – und das in der Folge für viele Jahre. An das Internet war damals noch nicht zu denken. So ging ich Woche für Woche zu dem Kiosk auf dem Spohrplatz und fragte die freundliche Dame, ob denn “das neue Heft” schon da sei. Nicht lange, dann brauchte ich sie nur noch anzuschauen, und sie hielt das richtige Heft bereit. Selbst als meine Eltern einmal während einer Klassenfahrt hin gingen, sorgte die fürsorgliche Dame dafür, dass ich auch in Abwesenheit das richtige Heft bekam. Die vormalige Rebellion hatte zu einer stillen Akzeptanz geführt.
Wenn wir an einem Strang ziehen,
anstatt uns gegenseitig zu bekriegen,
dann gibt es nichts, was uns aufhalten kann.
Homer G. Adams (Seite 837).
Die Geschichte drehte sich also um Perry Rhodan, der als “Sofortumschalter” bezeichnet wurde. Dabei habe ich mich nie gefragt, wie man so etwas eigentlich wird. Kann man das lernen, und wenn ja, wie? Der Begriff wurde einfach mal eingeführt, und so weit ich mich erinnere nur wenig erklärt. Vielleicht ist es aber auch nur zu lange her, dass ich mich nicht mehr erinnere. Wie wird man ein guter Menschenführer? Wie kam es dazu, dass ausgerechnet dieser Perry Rhodan so eine Karriere hingelegt hat, dass er 3000 Jahre danach noch immer aktiv ist? Fiktion oder Wirklichkeit?
Und nun ist die Antwort endlich da. Andreas Eschbach hat in der Rolle eines Chronisten, der ihn im Roman (in einer anderen Rolle) viele Jahre lang begleitet hat, das Leben des jungen Perry Rhodan recherchiert und gestattet uns einen Rückblick auf seine Jahre von der Kleinkindphase bis zur Entdeckung des arkonidischen Raumschiffs am Südpol des Mondes und der Gründung der Dritten Macht. Auch wenn ich nie gedacht hätte, eine solche langweilige Chronik eines jungen Lebens mit Begeisterung zu lesen, bei Perry Rhodan ist es mir gelungen. Das ist natürlich wesentlich dem Autor zu verdanken, der es geschafft hat, mich auf dieser Reise stets im richtigen Moment aufzufangen und zur nächsten Situation weiter zu führen. So entstand auf den knapp 850 Seiten nie Langeweile, sondern im Gegenteil immer der Wille, die Auflösung der aktuellen Situation mit zu erleben, nur um – genau wie in den Heftromanen – quasi von einem Abenteuer in das nächste zu stolpern. Eine nicht enden wollende Folge von faszinierenden Geschichten, die nun endlich auch ihren Anfang gefunden haben. In der Tat das größte Abenteuer.
Andreas Eschbach, “Perry Rhodan – Das größte Abenteuer”, Fischer Tor, 2019, ISBN: 978-3-596-70145-2, oder einfach hier klicken :-)
Hinweis: Auch wenn dieser Artikel Affiliate-Links enthält, wurde das Buch aus Eigenmitteln beschafft! Es handelt sich nicht um ein Rezensionsexemplar.
UPDATE: Wer eine Zusammenfassung aus rein wissenschaftlicher Sicht lesen möchte, der mag sich diese Veröffentlichung anschauen. Es gibt, wenn mich meine Erinnerung nicht trübt, eine Menge Parallelhandlungen zu dem beschriebenen Roman. Eschbach hat es meisterhaft verstanden, die Geschichte mit der Geschichte zu verweben.
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