Testen will gelernt sein

Letzte Änderung am 9. Dezember 2021 by Christoph Jüngling

In Deutschland brauchst du ja fast noch zum Frühstücken einen Zettel, sonst glaubt dir keiner, dass du das kannst. “Zertifizierter Frühstücker”, das wäre doch mal was. “Buchen Sie hier und wählen Sie zwischen kontinentalem, britischem oder afrikanischem Frühstück! Nur heute mit extra Orangensaft!” Sonst könnte ja jeder kommen und futtern wollen, wo kämen wir denn da hin? Da hatte ich die letzten 30 Jahre wohl eher Glück, dass mich niemand nach einem Zertifikat für VB6 oder VBA gefragt hat :-)

Testen will gelernt sein

Aber nun habe ich mich nach langem doch mal wieder entschlossen, eine richtige echte Weiterbildung zu machen. Mit Trainer, Lehrplan, Tischen und Stühlen und so. Zwar zähle ich AEK, SEK, NEK, SNEK und wie sie alle hießen, theoretisch dazu, aber das sind ja im Grunde nur Konferenzen (da amüsiert man sich ja), keine Seminare – könnte man denken. Es gibt zwar keine Prüfung, kein Zertifikat, doch auch dort kann man eine Menge lernen.

Nun denn, auf geht’s, mal wieder die Schulbank drücken. Denn eines ist klar: Testen will gelernt sein. Schließlich geht es nicht darum, planlos rumzumeckern. Wenn überhaupt geht es darum, gezielt rumzumeckern, sozusagen “Meckern nach Plan”.

Was also mache ich eigentlich hier?

ISTQB Certified Tester Foundation Level

Ja, so hab ich auch geguckt, als ich das zum ersten mal gehört habe. Oh Gott, was ist denn das nun wieder? Foundation? Jedenfalls nichts von Isaac Asimov, soviel ist schon mal klar. Und da denkst du, nur Deutsche könnten sich solche Wortungetüme ausdenken?

ISTQB steht für International Software Testing Qualifications Board. “Das ist eine gemeinnützige Zertifizierungsstelle für Softwaretester, die sich aus ehrenamtlich agierenden Expertengremien zusammensetzt. Sie hat das Ziel, eine standardisierte Ausbildung für professionelle Softwaretester zu erarbeiten” (Definition aus Wikipedia). Bei diesem Training geht es also darum, formal richtiges und vor allem zielführendes und sorgfältiges Testen zu lernen. Sicher, reproduzierbar, nachhaltig, oder so.

Im Grunde geht es für mich um das Lernen einiger neuer Zusammenhänge und diverser lustiger Begriffe. Als nicht ganz unerfahrener Softwareentwickler dachte ich noch, der Begriff “Fehler” sei genug, was man wissen muss, und getestet habe ich ja auch schon. Nun lerne ich, dass es siebzehntausend Varianten davon gibt: Fehlhandlung, Fehlerursache (und die Grundursache), Fehlerwirkung. Und dann die Blackbox-Testverfahren Äquivalenzklassenbildung, Grenzwertanalyse, Entscheidungstabellentest, zustandsbasierter Test und anwendungsfallbasierter Test! Ja toll, und was soll ich jetzt damit? Da versteht mich doch wieder keiner, wenn ich so wirres Zeugs rede!

Ja, es heißt “Intensivkurs”!

Ich weiß, intensiv heißt schnell, gepackt, konzentriert, und der Name ist Programm. Nach dem ersten Tag war ich schon froh, als ich mich nach dem Repetieren des Stoffs in der Hotelbar endlich zurücklehnen und meinen Mai-Tai schlürfen – Verzeihung: genießen konnte! Nebenbei erfuhr ich an diesem Tag auch, dass ich echt Glück hatte. Denn es gibt den Kurs mit gleicher Stoffmenge auch als dreitägige Variante. Noch intensiver, noch schneller, noch gepackter. Allerdings gäbe es auch 5-tägige, diese aber nur für Firmenkurse.

Am zweiten Tag kommt der Kerl an und erzählt und was von “Druckbetankung”! Heute ginge es noch flotter zu als gestern, sagt er. Gut dass mir ein paar Dinge schon bekannt vor kamen, aber so langsam wird es doch recht viel Theorie. Auch der dritte Tag ist nicht viel erholsamer, aber deswegen sind wir ja auch gar nicht hier. Dennoch droht langsam der Stack Overflow.

Eben in der Hotelbar habe ich mal die Probeklausur durchgemacht. Im Grunde sah das alles recht gut aus, ich bin mir jedenfalls bei den meisten Fragen ziemlich sicher gewesen. Und etwas “Mut zur Lücke” muss man schon haben, darf man auch, denn es müssen nur 26 der 40 Fragen (65 %) richtig sein, um zu bestehen. Wenn da eine Handvoll unter den Tisch fallen, ist das wohl nicht so schlimm.

Die Prüfung

Aber nun ist endlich der vierte Tag angebrochen, und das Damoklesschwert der Prüfung schwebt über unseren Köpfen. Bis auf einen Teilnehmer machen alle mit. Angeblich gibt es 15-20 % Durchfallquote, sagt der Trainer. Bloß keinen Druck aufbauen! Das ist aber auch klar: Wenn dauernd alle Teilnehmer bestehen, gilt die Prüfung schnell als zu leicht, und keiner glaubt, dass man wirklich was gelernt hat.

Ganz im Sinne der Regel “Entwickler sollen nicht ihre eigene Software testen” wird die Prüfung nicht von dem Dozenten selbst abgenommen, sondern von einem ganz anderen Unternehmen. Der Trainer weiß auch nicht, welche Fragen dran kommen, er kann sich also auch nicht unbeabsichtigt verplappern.

Wir werden noch den größten Teil des Tages mit Informationen zugedröhnt, und dann ab 16 Uhr geht’s für eine Stunde in die mentale Folterkammer, Schweigegelübde inbegriffen, wenigstens für diese eine Stunde. Unterlagen sind logischerweise nicht erlaubt, Notizzettel werden gestellt. Die Prüfung besteht aus 40 Fragen auf gehefteten Blättern. Für jede Frage stehen vier Antworten zur Auswahl, aus denen jeweils genau eine ausgewählt werden muss. Es handelt sich um Textaufgaben in verschiedenen Schwierigkeitsstufen. Darunter sind reine Wissensfragen, aber auch solche, bei denen man echt nachdenken muss.

Eine Teilnahmebescheinigung erhielten wir direkt nach dem Seminar, die Ergebnisse bekommen wir aber erst in ein paar Tagen per eMail.

Fazit

Lernen ist anstrengender als mancher glaubt! Jeder Dozent sollte sowas ab und zu mal mit machen, um das nicht zu vergessen. Im vorliegenden Fall kann man dem Dozenten für die Intensität keinen Vorwurf machen. Da die Prüfung von einem anderen Unternehmen abgenommen wird und die Fragen vorher im Geheimen festgelegt werden (jede Prüfung ist anders), muss der Stoff einfach durchgenommen werden. Bei einem klassischen Firmenkurs kann man es sich leisten, von dem Lehrplan abzuweichen, wenn die Truppe sich einig ist. Hier wäre das nachteilig.

Also mussten wir da durch, und es war – trotz aller Polemik in diesem Beitrag – doch eine interessante Woche. Zwar war Testen für mich nicht vollständig neu, da ich einiges bereits selbst gemacht habe und vor allem in direkter Zusammenarbeit mit einem Test-Team arbeite. Aber die Theorie dahinter kannte ich zumindest in dieser Tiefe noch nicht – auch jetzt noch nicht vollständig, um ehrlich zu sein. Man kann unmöglich alles im Kopf behalten, was man an vier Tagen derart gepackt präsentiert bekommt, egal ob nun die Prüfung bestanden wurde oder nicht. Aber ein Grundstock ist gelegt, der mich meinem Ziel sicher deutlich näher gebracht hat: Testautomatisierung. Denn dieses Thema verbindet meine Erfahrung als Softwareentwickler mit dem Testen. Und das gefällt mir.

Das Buch Basiswissen Softwaretest: Aus- und Weiterbildung zum Certified Tester – Foundation Level nach ISTQB-Standard – noch so ein Wortungetüm – erhält man übrigens als Teil des Kurses dazu, ebenso wie umfangreiches Lehrmaterial. Das umfasst alle Folien des Trainers, Übungsaufgaben, eine Probeklausur mit Fragen, die ähnlich auch in der endgültigen Prüfung vorkommen können (leider nicht dieselben) und den ausführlichen Lehrplan (wenn man will).

Durchgeführt wurde der Kurs von der Firma Imbus. Diese Weiterbildung habe ich selbst bezahlt, Imbus hat diesen Artikel nicht gesponsort – leider :-)

Ähnliche Artikel:

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

2 × eins =