Kein Ersatz für das Buch

Letzte Änderung am 24. Februar 2022 by Christoph Jüngling

Es heißt so schön, du kannst 100 eBooks mit in den Urlaub nehmen, aber wohl kaum 100 Bücher einpacken. Die Werbung hat natürlich recht damit, aber es ist leider nicht so, dass eBooks nur Vorteile hätten …

Es fing so schön an: Ich lade das eBook herunter, nachdem ich eine Lizenz dafür erworben habe. Manchmal gibt es diese, wie beim Hanser-Verlag, sogar kostenlos beim Erwerb eines gedruckten Buches dazu. Schnell ist (falls nötig) der notwendige Reader installiert und los geht’s. Ich kann offline suchen, Lesezeichen setzen und manchmal sogar Notizen hinzufügen und Textstellen heraus kopieren. Alles was das Herz begehrt und was der Windows-User von anderen Programmen kennt. Sogar eine Animation für das Umblättern haben die Entwickler in manche Reader eingebaut. Nicht wirklich notwendig, aber niedlich. So sind wir Nerds halt :-)

Leider geht das Offline-Lesen nur mit “Erlaubnis”. Das ist insoweit verständlich, als Daten erheblich einfacher kopiert werden können als gedruckte Bücher, und der Autor (genauer gesagt, der Verlag) dem gerne einen Riegel vorschieben möchte. Doch da in solchen Fällen vermutlich kryptographische Verfahren zum Tragen kommen, wäre eine Online-Verbindung nur beim Herunterladen und erstmaligen verifizieren notwendig, danach nicht mehr.

Die App “Leseplatz” von buecher.de will aber, dass ich angemeldet sein muss. Vielleicht wird hier öfters mal ein Rückruf beim Server durchgeführt (stündlich? täglich? wöchentlich?), um zu prüfen, ob meine Lizenz dort auch wirklich noch existiert. So etwas kann in den Weiten des Internets schon mal abhanden kommen. Mir ist zwar nicht so ganz klar, wieso das Besitztum permanent überprüft werden muss, denn bezahlt habe ich das ja unstrittig, sonst käme ich gar nicht an die Buchdaten heran. Und nirgendwo war die Rede davon, dass das nur eine gewisse Zeit lang gilt. Was da im Hintergrund passiert, ist mir nicht ganz klar.

Wenn die App dann — aus welchem Grund auch immer — der Ansicht ist, sie müsse jetzt unbedingt das Passwort erneut abfragen (so etwas kann ja mal abhanden kommen …) , dann habe ich unter Umständen ein Problem, denn solche Passwörter lasse ich von KeePass verwalten, insbesondere wenn ich sie nur selten brauche. Das ist übrigens keineswegs hypothetisch, es ist mir genau so im Urlaub vor ein paar Jahren in Schweden passiert. Und weil ich es nicht erwartet habe, habe ich das Passwort für die Lese-App und den Account nicht mit genommen. Und dann ging gar nichts mehr.

Als ich vor dem Urlaub mein Android-Tablet eingepackt habe, überprüfte ich natürlich zuvor noch einmal, ob alle installierten Programme einwandfrei funktionierten. Das taten sie. Und da mein Tablet normalerweise nicht neu gestartet werden muss, kann noch nicht einmal die Abfrage im Anschluss an den Reboot die Ursache gewesen sein. Auch hatte ich selbst in der schwedischen Natur mobiles Internet (man ist uns dort, was das betrifft, weit voraus), so dass sicher das oben vermutete gelegentliche “nach-Hause-Telefonieren” prinzipiell möglich gewesen sein sollte. Am Datenvolumen hat es definitiv auch nicht gelegen, weder davor noch danach gab es damit ein Problem.

Wie auch immer, warum auch immer, die App wollte mein Passwort, ich hatte es nicht. Dumm gelaufen.

Es muss also einen Grund für die häufige Internetverbindung geben. Da wundert die folgende Meldung des Heise-Verlags auch nicht mehr besonders:

Egal, bei welchem Anbieter Sie einkaufen — viele E-Book-Leser brauchen Adobe Digital Editions. Die Software gestattet sich aber einen tiefen Blick in die Bibliothek und meldet jede Menge Einzelheiten an Adobe — im Klartext.

(Quelle: heise.de, 2014)

Das kann bei einem auf Papier gedruckten Buch nicht passieren. Da gibt es niemanden, der mir beim Lesen über die Schulter schaut, der die durchschnittliche Lesedauer einer Seite ermittelt und heimlich an den Verlag meldet, der Statistiken über die gelesenen, übersprungenen oder erneut gelesenen Kapitel erstellt, der zwischen “lesen” und “überfliegen” anhand meiner durchschnittlichen Lesedauer unterscheiden kann. Gut, ich verstehe das Interesse des Autors an solchen Daten. Wenn ich bemerke, dass ein bestimmtes Kapitel nur selten wirklich gelesen wird, dann kann ich das in meine Überlegungen einbeziehen, wie ich künftig schreiben will. Eine Art Qualitätskontrolle also. Aber bitte, das sollte dann auf freiwilliger Basis geschehen und nicht voreingestellt sein, jedenfalls wäre das mein Verständnis der DSGVO.

Auch wird mir niemand Teile des Buches nachträglich herauslöschen, weil entweder der Autor zwischenzeitlich anderer Ansicht ist oder ein Gericht eine Anti-Plagiats-Entscheidung getroffen hat, die sofort umzusetzen ist. Was in “1984” nur für Zeitungsartikel dargestellt wurde, wäre schlagartig massentauglich. Wir schreiben die Geschichte (um), widde widde wie sie uns gefällt!

Smartphone, Buch, BrilleDu magst das als Verschwörungstheorie abtun wollen. Aber bedenke bitte einmal, was mit der Technik theoretisch alles möglich wäre! Ein mobiles Gerät, das permanent mit dem Netz verbunden ist, und dessen Lese-Applikation wiederum permanent oder wenigstens sporadisch mit dem Verlagsserver Daten austauscht … was wäre da nicht alles möglich? Man kann natürlich bei der “Registrierung” einfach Fantasiedaten angeben. Dass der Name und die postalische Adresse für den Lesevertrag bei einem rein elektronisch “ausgelieferten” (= heruntergeladenen) Buch wirklich notwendig ist, mag vielleicht nur noch juristisch erklärt werden können. Aber schon wenn ich mit digitalen Coins bezahlen würde, müsste dies wieder ernsthaft in Frage gestellt werden. Schließlich muss ich beim Kauf eines gedruckten Buches im Laden auch nicht meine komplette Lebensgeschichte hinterlegen, und ich kann bar zahlen. Auch die Frage meines Alters bzw. Geburtstags dürfte (außer wiederum bei erotischer Literatur) belanglos sein. Warum sollte eine Neunjährige kein Buch über Quantenphysik lesen? Sie sollte dann allerdings Agent J aus dem Weg gehen :-)

Da Datensparsamkeit seit dem 25. Mai 2018 endgültig gesetzlich verpflichtend geworden ist, sollten wir uns auch überlegen, welche Daten wir bei solchen Transaktionen freiwillig angeben. Bei allem, was für die Abwicklung nicht benötigt wird, dürfen wir, so denke ich, immer dann ungestraft lügen, wenn wir zu einer Aussage verpflichtet werden. Aber auch solche Neugier wäre — zumindest juristisch — inzwischen angreifbar. Denn wir wissen doch inzwischen eines ganz sicher: Was möglich ist, das wird früher oder später auch gemacht, und Daten, die vorhanden sind, werden auch ausgewertet. Also komm mir bitte nicht mit “Paranoia” und “Verschwörungstheorie”!

Aber der wichtigste Hinweis kam gerade von einem Freund: Versuche mal, mit einem eBook eine Fliege zu erschlagen :-)

Fotos: Bücher am Strand, Free-Photos, Pixabay; Smartphone, Brille und Buch, Dariusz Sankowski, Pixabay

Dieser Artikel wurde zuerst am 31.5.2018 auf edv3.de veröffentlicht. Da diese Domain jedoch keinerlei Resonanz erfuhr, habe ich ihn nach hier übertragen.

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