Quantensprung

Letzte Änderung am 22. April 2017 by Christoph Jüngling

Immer wieder, wenn jemand ein großes Ziel erreicht hat (oder in Kürze zu erreichen glaubt), ist von einem “Quantensprung” die Rede. Wie seltsam die Verwendung dieses Begriffes in diesem Zusammenhang ist, versteht man erst, wenn man mal zu den Ursprüngen dieses Begriffes vor stößt.

Dann versteht man vielleicht auch, wieso manche Leute ein breites Grinsen im Gesicht haben, wenn jemand von einem Quantensprung schwärmt. Denn in Wahrheit ist ein Quantensprung kein großer Fortschritt, sondern das genaue Gegenteil.

VfL Gummersbach (in der Kölnischen Rundschau):

Der Fernsehvertrag ist ein Quantensprung
Das ist ein echter Quantensprung. Die Verträge sichern uns Liveübertragungen aller Spiele.

n-tv: “Mercedes hält die Spur” (es geht um autonomes Fahren):

“In den letzten Jahren haben wir hier einen Quantensprung gemacht”, erklärt Gern bei den “Coffee Talks” bei Mercedes im Vorfeld der CES in Las Vegas.

Schwarzwälder Bote:

Seit gestern steht (…) das schnelle VDSL-Glasfasernetz zur Verfügung. Vor allem die Nutzer in Schönbronn werden einen Quantensprung erleben.

Das sind nur die ersten drei Beispiele, die Google News mir aufgrund des Suchbegriffes “Quantensprung” während der Recherche für diesen Artikel ausgegeben hat, insofern willkürlich ausgewählt und keineswegs repräsentativ für die Art des betreffenden Mediums, sich zu artikulieren. Deutlich wird, dass der Quantensprung im Volksmund offenbar als ein großer Schritt nach vorn verstanden wird, so in dem Stil “Gestern standen wir noch vor einem Abgrund, aber heute haben wir einen großen Schritt nach vorn gemacht!”. Na das kann ja was werden.

Diagram of Fluorescence Only (Jablonski)

Von JacobkhedEigenes Werk, CC0, Link

Glaubt man Wikipedia, dann “wird das Wort Quantensprung in der physikalischen Fachsprache kaum noch benutzt”. Es ist seit dem frühen 20. Jahrhundert gebräuchlich gewesen für den kleinstmöglichen Energieübergang eines Teilchens. Wenn mich meine Erinnerung an den Physikunterricht (eher im späten 20. Jahrhundert) nicht trügt, bezeichnete es sogar konkret einen Übergang nach unten, also den Rückfall aus dem angeregten in einen (stabileren und damit wahrscheinlicheren) energieniedrigeren Zustand. Das wäre dann das krasse Gegenteil zu dem heutigen Verständnis eines Quantensprunges.

Parallelen

Im Grunde ist das nicht weiter verwunderlich. Es hat den Anschein, als ob viele (Fach-) Begriffe, die ich in meiner Schulzeit gelernt habe, heute eine genau gegensätzliche Bedeutung haben. Ob man das unter dem allseits bekannten Bedeutungswandel subsummieren kann, ist mir nicht ganz klar. Es würde jedoch zu der Erklärung passen, “der Bedeutungswandel kann bis zur Bedeutungsumkehr gehen”.

Dazu passen ähnliche Erfahrungen auch aus nicht-physikalischen Bereichen, wie die “Unkosten”, die eigentlich “keine Kosten” sein müssten (vgl. “unmöglich”, “Untiefe”, usw.), aber eher als “unerwünschte Kosten” verstanden werden. Auch der “Atombusen” dürfte mitnichten aufgrund der geringen Größe eines Atoms entstanden sein :-)

In den bereits verlinkten Wikipedia-Artikeln finden sich noch einige interessante theoretische Ansätze, die das obige Dilemma erklären könnten. Die muss ich hier aber nicht unbedingt wiederholen, dafür sind Links schließlich da.

Dennoch kann ich mir das Grinsen oft nicht verkneifen, wenn jemand im Überschwang der Begeisterung einen winzigen Fortschritt als Quantensprung bezeichnet. Oft genug passt das nämlich.

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