Edward Snowden: Permanent Record

Da ist dieses Gesicht, das mich von Anfang an gefesselt hat. Wissend, aber auch traurig schaut es mich an. Ein wenig anklagend vielleicht. “Wie konntet Ihr das zulassen?” Das Schwarzweiß-Foto des jungen Mannes mit der rechteckigen Brille und dem Dreitagebart habe ich seitdem des öfteren gesehen, und den Namen mindestens genau so oft gehört und gelesen: Edward Snowden, Whistleblower.

Als ich vor vielen Jahren zum ersten mal den Spruch “das Netz vergisst nie” hörte, fing auch ich an, mir Gedanken über meine Präsenz im Internet zu machen. Meine Warnungen an den Freundeskreis, dass eMails genau so unsicher seien wie Postkarten, verhallten zu oft unverstanden. Paranoid nannten sie mich vermutlich insgeheim, lachten darüber, “ich habe doch nichts zu verbergen” hieß es. Immerhin hat das in meinem Brief an einen fiktiven Steuerberater geschriebene (und natürlich die direkte Intervention) dort zu einer Änderung der Verhaltensweise geführt. Die eMails aus dem Steuerbüro sind nicht deswegen “sicher”, weil dieser dem Datev-Netzwerk angeschlossen ist, denn irgendwann müssen sie dieses auch mal verlassen, um mich zu erreichen.

Am liebsten würde ich ihnen zurufen “Seht Ihr? Ich habe es euch schon damals gesagt!”, aber auch das würde nichts nützen. Wenn selbst die Botschaft von Edward Snowden offenbar keinerlei Konsequenzen für unser tägliches Leben hat, was könnte ich als einzelner Rufer in der Wüste da noch ausrichten? Oder hast du, lieber Leser, irgendwelche Konsequenzen aus den Veröffentlichungen gezogen?

Aber lassen wir dazu den Autor selbst zu Wort kommen.

Zu behaupten, dass uns unsere Privatsphäre egal ist, weil wir nichts zu verbergen haben, ist letztlich dasselbe, als würden wir behaupten, dass uns die freie Meinungsäußerung egal ist, weil wir nichts zu sagen haben. Oder dass uns die Freiheit der Presse egal ist, weil wir nicht gern lesen. Oder dass uns die Religionsfreiheit egal ist, weil wir nicht an Gott glauben.
(Seite 265)

“Für L.” lautet die Widmung. Ganz im Stil eines Geheimdienstlers (der er ja auch war) verschweigt er zunächst alles, was für die Menschen seiner Umgebung verräterisch werden könnte. Lindsay heißt sie, das erfahren wir später. Vielleicht ist das der richtige Name, vielleicht auch nicht, aber im Grunde kommt es darauf gar nicht an. Denn es geht ja nur am Rande um das, was L. tut, sondern um das, was E. – Edward –  tut oder besser getan hat. Obwohl, auch die Frage, ob auch dieser Name nicht am Ende doch erfunden ist, wird man sich stellen. Das ist das Problem im Spionagegeschäft: Alles könnte erfunden sein, alles könnte wahr sein, Wahrheit ist Lüge. Als Leser taucht man unwillkürlich in diese Welt ein, fiebert mit dem Protagonisten, flieht mit ihm. Man hofft, dass seine Geheimnisse sicher sind und er nicht vorzeitig auffliegt.

Ich will es nicht “Roman” nennen, obwohl es alles andere als ein trockenes Sachbuch ist. Vielleicht würde “Spionage-Thriller” passen, denn es könnte von le Carré, Schätzing oder Brown stammen, so gut ist es. Allerdings wird außer Snowden selbst kein anderer Autor genannt.

Snowdens Geschichte ist lang und breit erzählt worden, aber in diesem Buch erfahren wir mehr auch über den Menschen dahinter, wie es dazu kam, dass er sein Land verraten hat, obwohl er ihm doch die ganze Zeit uneingeschränkt die Treue gehalten hat. Geht das überhaupt? Ist das nicht ein Widerspruch, sowohl treu als auch ein Verräter zu sein? Ich behaupte: Ja, das geht. Denn es ist alles eine Frage der Sichtweise. Was dem Staat völlig richtig erscheint, woraufhin er folgerichtig jedes Offenlegen eines Geheimnisses als Verrat ansieht, das mag für den Whistleblower wie ein schwerer Gesetzesverstoß wirken, gegen den er unbedingt etwas unternehmen muss. Wenigstens wissen wir nun, warum Snowden das alles getan hat, und dass er nicht von Anfang an dieses Ziel hatte. Ganz im Gegenteil!

Was hat Edward Snowden denn nun eigentlich getan, wird sich der Leser fragen, der die Geschichte vielleicht nur am Rande mitbekommen hat. Ich will mich kurz fassen, denn das Buch soll ja auch noch gelesen werden. Snowden hat offengelegt, dass die US-amerikanischen Geheimdienste alle Menschen ausspionieren, Ausländer wie US-Bürger, und dass sie dabei zum Teil auch gegen die Gesetze ihres eigenen Landes verstoßen, von den Gesetzen anderer Länder mal ganz zu schweigen. Und dass sie in jeden Download, den ihr landauf landab macht, spezifisch für euch zusammengebaute Schadsoftware einschleusen können, weil sie an den Schlüsselstellen des Netzes sitzen, wie eine Spinne im Netz. Selten war die Metapher “Word Wide Web” treffender. Das hat er ausgeplaudert, und er hat auch Beweise dafür geliefert.

Wir sollten ihm glauben.

Edward Snowden: Permanent Record
S.Fischer Verlag, 2019

Ähnliche Artikel:

1 Kommentar

  1. Es wird kein anderer Autor genannt, doch im Abspann bedankt er sich bei Joshua Cohen, der ihm geholfen hat, alles “in ein Buch zu gießen”.

    Und ja, das Buch ist solte man lesen!

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

6 − sechs =