Letzte Änderung am 21. Februar 2022 by Christoph Jüngling
Der Standort der Kaffeekanne ist ein Ort der Diskussion, des Austauschs. Hier werden, wie dereinst am Dorfbrunnen oder heute in der Raucherecke, die entscheidenden Nachrichten des Tages ausgetauscht. Damit ist der Kaffee weit wichtiger als das klassische „Schwarze Brett“, mit dem er bestenfalls noch die Farbe gemein hat. Doch der Kaffee-Workflow ist für den aufmerksamen Agilisten noch um einiges interessanter.
Wie ich in Agile Kaffeekassenkostenplanung schon angedeutet habe, gibt es einen engen Bezug zwischen dem betrieblichen Kaffeewesen und den agilen Konzepten. Diesmal will ich auf den Workflow näher eingehen, der meiner Ansicht nach ein Paradebeispiel für Selbstorganisation und das “Pull-Prinzip” ist.
Der Workflow
So ein Kaffee-Workflow ist im Grunde recht einfach gestrickt. Es handelt sich meistens um einen zyklischen Workflow, der also im Laufe des Tages mehrfach durchlaufen wird. Beginnen wir mit der Betrachtung am Morgen, dann gibt es zwei mögliche (Anfangs-)Zustände:
- Die Kanne ist noch mit Restkaffee vom Vortag gefüllt.
- Die Kanne ist leer.
Im ersten Fall muss sie entleert und ggf. gespült werden, im zweiten Fall sind keine besonderen Aktionen erforderlich. Danach geht es weiter zu Schritt 2, dem Vorbereiten der Kaffeemaschine. Wiederum haben wir zwei mögliche Situationen:
- Ein alter Kaffeefilter ist noch im Gerät.
- Der Filterbehälter ist leer.
Also lautet die Aktion im ersten Fall, den alten Filter zu entfernen, oder (2) an dieser Stelle nichts zu tun.
Nun müssen wir:
- den neuen Filter einlegen
- Kaffeepulver in vorgeschriebener Menge einfüllen
- den Filterbehälter korrekt in die Maschine einsetzen
- Wasser in vorgeschriebener Menge einfüllen
- die Maschine anschalten
Diese fünf Schritte können im Workflow einfach aufeinander folgen. Größere Besonderheiten sind hier nicht zu erwarten, daher ist dieser Vorgang auch für ungelernte Arbeitskräfte durchführbar.
Human Ressources
Betrachten wir die Schritte 1 bis 3 und den Schritt 4 etwas genauer. Die Frage, wann das Wasser eingefüllt wird, ist eigentlich belanglos, solange es vor Schritt 5 geschieht. Genau genommen hat die Wasserbefüllung mit der Kaffeepulverbefüllung gar nichts zu tun, außer dass beide dem selben Ziel dienen. In unserem Workflow besteht also Potential für eine Umstellung der Reihenfolge oder sogar eine Parallelisierung, falls eine weitere Arbeitskraft verfügbar ist.
An dieser Stelle zeigt sich aber auch sehr schön, dass zum Beispiel durch eine dritte Person kein weiterer Vorteil entstehen würde. Die Schritte “neuer Filter”, “Kaffeepulver” und “Filter einsetzen” müssen zwingend in dieser Reihenfolge gemacht werden, andernfalls kann das gewünschte Ergebnis nicht erreicht werden. Auch wenn 5 Personen den Eindruck erwecken würden, hier würde ganz viel geschafft, wäre nicht nur das Endergebnis das gleiche. Auch würde sich höchstwahrscheinlich kein Zeitvorteil ergeben. Im Gegenteil, möglicherweise stehen sich die Kollegen dann einfach gegenseitig im Weg, was sogar zeitliche Nachteile zur Folge hätte.
Das ist auch in Projekten oft so, obwohl immer wieder Manager der Illusion erliegen, man müsse nur genügend “Ressourcen” (im Manager-Speak, eigentlich geht es natürlich um Menschen) in ein Projekt hineinpacken, um den Zeitaufwand beliebig zu verkürzen.
Befüllung abgeschlossen
Nun heißt es warten, was aber niemand tut, denn das wäre Zeitverschwendung. Statt dessen geht man weg und überlässt die Maschine sich selbst. Das Brühen läuft automatisch ab, es muss nicht durch einen Menschen beaufsichtigt werden, auch gibt es keinerlei Eingriffsmöglichkeiten oder -notwendigkeiten.
Irgendwann ist der Kaffee dann fertig gebrüht. Dann muss die Maschine abgeschaltet und die Kanne entnommen werden. Man kann an dieser Stelle auch den alten Filter entsorgen. Die Kanne wird nun zu ihrem üblichen Standort transportiert, wo die Kollegen dann solange Kaffee zapfen können, bis die Kanne wieder leer ist. Derjenige, bei dem der letzte Tropfen gefallen ist, transportiert die Kanne zur Kaffeemaschine und nun beginnt der Workflow wieder von vorn.
Selbstorganisation
Das ist bislang alles nichts Besonderes, Kaffee kochen hat jeder von uns schon mal gemacht. Interessant ist allerdings, wer diese ganzen Tätigkeiten ausführt. Die Antwort ist einfach: Jeder, der gerade Kaffee trinken möchte und keinen in der Tasse hat. Doch wie organisiert man das? Wer sagt den Mitarbeitern, was sie zu tun haben? Auch darauf gibt es eine einfache Antwort: Niemand.
Der Workflow kann von jedem Mitarbeiter gelebt werden, weil er einfach ist, jeder Zustand eindeutig zu erkennen ist, die nachfolgende Aktion und der darauf wiederum folgende Status eindeutig bestimmt sind. Insofern kann der Workflow auch als ein schönes Beispiel für das State-Pattern (Wikipedia DE, EN) dienen.
Der gesamte Workflow kommt vollständig ohne Manager aus! Jeder Einzelne im Team erkennt selbsttätig, welche Aktion gerade notwendig ist, führt sie durch und überlässt das System dann wieder sich selbst. Wenn alle Teammitglieder über alle wichtigen Aspekte ihrer Arbeit informiert sind, und wenn sie motiviert sind, dann kann so etwas funktionieren. Probiert es doch einfach mal aus!
Denn das vorgestellte Modell ist das gelebte Pull-Prinzip: Arbeit wird nicht verteilt, sondern gesucht, gefunden und getan. Einfach so. Einfach geil, oder? Eben “agil”.
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